Freitag, 30. März 2018
Der geheimnisvolle Papierkorb
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Ein warmer Wind pfiff leise über die Küste von Cornwall. Kein Wölkchen regte sich am strahlend blauen Himmel, die Sonne brannte angenehm auf die saftigen Wiesen. Über ihnen spannte sich ein bunter Regenbogen in allen Farben, die die Natur an diesem verträumten Fleckchen Erde zu bieten hatte.

In dem anmutigen Häuschen aus roten Backsteinen, dessen Rietdächer mit Schieferschindeln reichlich gedeckt waren, sass Timothy an seinem eichenhölzernen runden Marmortisch. Er war ein blonder und erfolgreicher armer Poet, der seinen Börsenjob bereits seit drei Tagen an den Nagel gehängt hatte. Er schrieb wie jeden Tag, seit seine Grossmutter gestorben war, auf seiner alten Schreibmaschine. Diese hatte er von seinem Ur-ur-ur-Grossvater mütterlicherseits geerbt.

Er beschrieb eine Seite nach der anderen, dass es eine Freude war, ihm dabei zuzusehen. Immer wieder riss er die Seiten schwungvoll aus der Maschine, knüllte sie vergnügt zusammen und warf sie in Richtung des violettfarbenen Elfenbein-Papierkorbs, den ihm sein alter Freund Georges von einer seiner zahlreichen Abenteuerreisen aus allen Teilen der Welt mitgebracht hatte.

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In diesem Augenblick klopfte es an die knarrende Eichentür mit den schmiedeeisernen Beschlägen als bräche soeben das Gewitter höchstpersönlich ein. Es war jedoch Amelie, das liebste weibliche Geschöpf auf Gottes endloser Erde. Sie hatte nichts an als zwei ihrer lieblichen Stiefeletten, mit denen sie durch die einsame Moorlandschaft gelaufen war, um ihm, dem blonden Grafen neben seinem elfenbeinigen Papierkorb, höchstselbst ihre Aufwartung zu machen.

Wie lange er darauf gewartet hatte! So vieles verband ihn mit diesen Stiefeletten, in denen ihre Füsse steckten, über denen sich ihr tadellos gebauter Körper erhob. Noch einmal warf er ein sorgfältig geknülltes Blatt durch die vor Spannung knisternde Luft des Raums, als sie anheben wollte, ihre wohlgeformten Worte an ihn zu richten. Doch genau in diesem Moment ...

Forts. folgt

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Doch genau in diesem Moment tat es einen furchtbaren Schlag, der alle wie gebannt zusammenfahren liess. Graf Freiherr von und zu Hohenstein hatte nämlich durch sein plötzliches und unwillkürliches Aufstehen aus seinem Tropenholzstuhl, den ihm ebenfalls Georges aus aller Welt mitgebracht hatte, eine so heftige Bewegung ausgelöst, dass der schwere silberne Feingoldelefant vom Schreibtisch direkt in den violetten elfenbeinigen Papierkorb fiel, also praktisch in seinen eigenen Stosszahn.

"Es tut mir leid, wenn ich Sie erschrocken haben sollte, junge Dame. Ich bin nun mal sehr ungeschickt. Was kann ich für Sie tun?"

"Aber das macht doch nichts", sagte sie errötend. "Es ist allein meine Schuld. Ich hätte lauter anklopfen sollen."

"Das geht schon in Ordnung. Treten Sie doch bitte ein."

Sie tat wie ihr geheissen und schlug die Tür mit einem leisen Knall hinter sich zu. Dann trat sie vor den Grafen und sah ihm tief in die Augen. So tief, dass er nicht wusste, wie ihm geschah. Jetzt war es an ihm, zu erröten.

"Ich komme", sagte sie, "wegen der Assistanz. Ich las Ihre Annonce im Fachblatt für Jagd- und Börsenwesen. Sie können mich gerne testen, ich werde Ihnen bestimmt eine gute Assistantin sein." Sie errötete schon wieder.

"Davon bin ich..." Er konnte den Satz nicht vollenden, weil sie ihm spontan an den Hals gesprungen war und diesen so zärtlich küsste wie sie es schon lange nicht mehr getan hatte.

"Ich bin Ihnen ja so dankbar. Sie werden es bestimmt nicht bereuen."

"Davon bin ich..." begann er wieder. Er wartete kurz ab, ob sie wieder springen wollte, was sie aber nicht tat. Ihre gute Erziehung verbot es ihr spontan.

"... überzeugt", beendete er nun seinen Satz. Dann sah er an ihr hinunter und sagte mit bebender Stimme: "Aber ... aber ... Sie sind ja splitterfasernackt!"

Sie errötete wieder und ärgerte sich masslos. Es war das dritte Mal, seit sie gekommen war. "Nicht ganz," sagte sie. "Was halten Sie davon, wenn ..."

Forts. folgt

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Illustrationen: Quay Bell

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"Was halten Sie davon, wenn wir uns erst einmal setzen. An Ihrem prasselnden Kaminfeuer könnten wir uns in Ruhe unterhalten."

"Aber natürlich", antwortete der Graf, noch immer leicht verwirrt. "Nehmen Sie doch bitte Platz, ich lasse uns dann Gummibärchen, Salzstangen und mit Erdbeercreme gefüllte Oliven bringen. Und eine Flasche meiner besten Limonade, dreihundert Jahre in Eichenholzfässern ausgebaut."

"Fein, ich mag Gummibärchen", sagte sie zaghaft, nachdem sie auf der mit kostbarem Chintz bezogenen Chaiselongue Platz genommen hatte. Es entging ihr nicht, dass der Graf seine Blicke immer wieder auf ihre wohlgeformten Stiefeletten schweifen liess, während er sprach.

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"Wissen Sie, Madame ..."
"Nennen Sie mich doch bitte einfach Gini. Richtig heisse ich Geneviève, aber Freunde, entschuldigen Sie ..."

Sie errötete abermals, weil sie sich die Freiheit genommen hatte, den Grafen bereits als Freund zu betrachten, obwohl sie doch gerade erst gekommen war.

"Nun, Geneviève, oder Gini, wenn ich Sie denn so nennen darf, wissen Sie, das Wichtigste ist dem Menschen nun mal eine gewisse Kontinuität ..." Er war unversehens in eine dozierende Sprechweise verfallen. "Kontinuität ist sogar fast das einzige und wichtigste, was der Mensch anstrebt, solange er lebt. Die Kontinuität des Lebens selbst ist sein höchstes Ziel. Man kann fast die ganze Philosophiegeschichte auf diesen Gedanken reduzieren."

Sie hörte ihm aufmerksam zu und nickte sanft mit ihrem bildhübschen Kopf samt Gesicht und dunkler Haarpracht.

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"Ich habe auch eine Theorie entwickelt", fuhr er fort, "die sich in der These zusammenfassen lässt, dass Lebensqualität, also dass alles, was man sagt und tut... " Er machte eine kleine Pause, schaute ihr kurz in die Augen und dann wieder auf ihre Stiefeletten.

"Also dass Qualität überhaupt dadurch definiert wird, dass man Dinge tut oder sagt, die auch dann nicht an ihrer Qualität verlieren, wenn man unterbrochen ... äh ... wird." Er atmete tief durch und einmal kurz auf, um dann fortzufahren, was er jedoch nicht tat. Er wollte jetzt einfach nicht fort fahren.

"Ach, fahren Sie doch bitte fort", sagte Gini.

"Das geht jetzt einfach nicht", sagte er, "wo Sie doch gerade erst gekommen sind.

Sie nippte verlegen an einer Salzstange und warf dann zwei Gummibärchen in ihre Limonade. "Oliven mit Erdbeerfüllung", meinte sie dann, "sind ja wirklich sehr originell". Sie hatte noch keine probiert.

"Kommen wir zu etwas anderem", nahm der Graf die Fäden der Unterhaltung wieder auf, die ihm vorübergehend leicht entglitten waren.

"Aber gern!" Gini war ganz Ohr. Nun fühlte sich auch der Graf wieder selbstsicher genug, um mit grösster Selbstverständlichkeit etwas zu tun, was er schon während des ganzen Gesprächs fast noch viel lieber getan hätte als über seine Theorien zu sprechen. Er stand auf und ...

Forts. folgt

Er stand auf und wollte zu sprechen anheben, als plötzlich eine absolute und fast hörbare Stille eintrat. Nicht nur, weil er schwieg, sondern auch sie. Das Gewitter hatte zu donnern aufgehört und das Kaminfeuer prasselte nicht mehr. Es schwieg glühend und wie nur noch für sich selbst dahin. Sogar alle rauschenden Bäche und Wasserfälle in der näheren und weiteren Umgebung schienen plötzlich stillgestanden zu sein.

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Der Graf überlegte wortlos, wie lange er noch schweigen konnte, wo es doch gerade so schön war. Er stellte sich vor sie hin und rang sich schliesslich dazu durch, seinen Vorschlag an sie zu richten.

"Ich möchte Ihnen gerne", hub er an, "etwas zeigen, das ich nur selten jemandem zeige."

Gini wusste nicht, warum sie schon wieder errötete. Sie beschloss jedoch spontan, sich damit abzufinden. Sollte sie doch erröten! Hatte man je schon von bösen Menschen gehört, die erröten?"

Auch der Graf wollte es nicht nur einfach übersehen, es gefiel ihm sogar. Sie konnte kein schlechter Mensch sein. Was ihm im übrigen schon klar wurde, bevor sie überhaupt gekommen gewesen war. Jetzt wusste er es nur noch sicherer.

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Ihre leichte Antlitzerrötung war auch schon wieder verschwunden, als er nach einer weiteren kurzen Pause die Frage stellte, die ihm auf dem blaublütigen Herzen so lodernd brannte wie vorhin das Kaminfeuer.

"Möchten Sie meine Ländereien und Wässereien sehen? Sie sind nicht gerade riesig, aber sie sind mir sehr lieb."

Gini hatte den zweiten Satz, den sie ja nicht geschrieben sah, so verstanden als wäre das "sie" mit einem grossen "S" geschrieben gewesen. Trotzdem oder gerade deswegen beschloss sie, cool zu bleiben. Er konnte ja nicht wissen, wie gross sie die Buchstaben sah, die er so klein ausgesprochen hatte.

"Schön", sagte sie. Und: "Ja, gerne", wobei sich für sie das "Schön" auf den zweiten Satz, also den mit ihrem grossen "S", und das "Ja, gerne" auf den ersten Satz bezog. Sie antwortete praktisch in umgekehrter Reihenfolge, also mit ihrer ersten Antwort auf seinen zweiten Satz und mit ihrer zweiten auf seinen ersten. Wer sollte da noch durchsehen?

"Als erstes könnten wir zu meinem Gedankenschloss reiten", fuhr er mit grosser Vorfreude fort, die sich darin äusserte, dass nun richtig Leben in seinen Körper kam. Er hatte viel zu lange gesessen. Zweieinhalbmal ging er im Raum auf und ab, halb denkend und halb redend, bis er wieder vor ihr zu stehen kam.

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"Von dort geht's über die Eselsbrücke zum Holzweg und auf diesem gelangen wir dann zum "Tiefsee der Bedeutungen". Dort können wir ein bisschen ins Vergnügen segeln."

"Fein", sagte sie, auch ohne die Anführungszeichen vom "Tiefsee der Bedeutungen" gehört zu haben. "Ich bin zu allen Schandtaten bereit." Sie sagte dies mit andächtigem Ernst und ohne auch nur noch ansatzweise zu erröten.

Und er: "Vielleicht sollten Sie sich noch etwas überziehen, über Ihre Stiefeletten."

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Schluss folgt

Illustrationen: Quay Bell und Michèle

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Am See angekommen, sitzten sie ab, banden die Pferde fest und gingen zur Terrasse des Bistro. Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick auf den See.

"Gefällt es Ihnen?" fragte der Freiherr.
"Ja, es ist wunderschön hier. Ich mag diese Ruhe."

"Ich auch."

Zu ihnen gesellte sich ein Mann, der auf jeden Fall älter war als er aussah. Er wirkte freundlich und entspannt und fragte nach dem Wohlergehen und den Wünschen des Grafen.

"Das ist Johnny", stellte der Graf ihn vor. "Er nennt sich gerne unser Faktotum. Aber eigentlich ist er hier der Chef."

Johnny winkte ab. "Dann schon lieber Bedeutungswart. Dieses Wort", wandte er sich an Gini, "hat der Graf erfunden. Ich habe keine Ahnung, was es bedeuten soll."

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Der Graf lachte. "Sehen Sie, Sie haben es verstanden", sagte er. "Und das ist Gini", fuhr er, an Johnny gerichtet, fort. "Meine neue Assistantin. Wir haben gerade ein bisschen das Terrain erkundet."

"Und wie gefällt es Ihnen?" fragte Johnny.

"Wunderbar. Das ist ja ein wahres Paradies hier."

"Naja", erwiderte Johnny. "Das ist sicher übertrieben. Milch und Honig fliessen hier nicht. Aber dafür gibt es auch keinen verbotenen Apfelbaum. Apropos, möchten Sie etwas essen oder trinken?"

Der Graf schaute Gini an, bis sie lächelnd meinte: "Keine besonderen Wünsche."

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"Na, dann stellen Sie uns was auf den Tisch, Johnny. Sie wissen schon, was am besten passt zu dieser Tageszeit und nach einem Ritt durch unser kleines Paradies."

"Alles klar", sagte Johnny, "ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt". Er lächelte.

"Danke, Johnny, Herr Kapitän!"

Johnny verschwand und die beiden angenehmen Aufenthalter schauten sich an. Sie mussten beide lachen.

"Scheint ja ein sehr netter Mensch zu sein, Ihr Bedeutungskapitän."

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"Ja, das ist er auf jeden Fall. Dass ich ihn den Bedeutungswart nenne, der am See der tieferen Bedeutungen für Klarheit zu sorgen hat, hat aber nichts weiter..."
"...zu bedeuten", ergänzte Gini. Beide mussten wieder lachen.

Sie labten sich alsbald an den kleinen Köstlichkeiten, die Johnny ihnen aufgetragen hatte und unterhielten sich über unbedeutende Dinge. Gini äusserte auch die Vermutung, dass die Bezeichnung Gedankenschloss oder Denkburg sicher auch keine tiefere Bedeutung habe.

"So ist es. Schlösser und Burgen sind Relikte der Vergangenheit. Wohnen kann man darin höchstens ironisch, wenn überhaupt. Sie dürfen sich überall hier aufhalten, wo sie wollen. Und wenn Sie Geheimgänge oder Geheimtüren finden, dann ist jedenfalls nichts Geheimes dahinter."

Gini lachte wieder. Sie lachte sehr gern. Und sie war sich jetzt sicher, dass sie einen Mitlacher gefunden hatte, vor dem sie nicht zu erröten brauchte.

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Illustrationen: Quay Bell, Brulama und Pear Biter

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Amélie-Geneviève und Timothy hatten das Wochenende gemeinsam verbracht.

Am Montagmorgen drang der Pariser Nebel bis in das kleine Örtchen Cornwall in der französischen Provinz vor.

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Im Büro flog wieder jede zweite Seite in den Papierkorb, fünfzig Prozent Ausschuss waren für Tim normal. Gini arbeitete in dem durch eine offene Zwischentür nicht abgetrennten Nebenraum. Sie hatte sich schnell zurechtgefunden.

"Gini?"
"Ja?"
"Ich habe eine Mail von "Frank aus aller Welt" bekommen."
"Mit Anführungszeichen?"
"Ja."
"Hiess der nicht Georges?"
"Das ist der "Elfenbein-Papierkorb-Georges". Diesen Frank kenne ich nicht so gut. Er will uns aber besuchen und fragt, ob er ein paar Tage bleiben kann. In Frank-Reich."
Sie lachten wieder.

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Dann leerten sie den Papierkorb und lüfteten sein Geheimnis. Es bestand darin, dass sich diese Geschichte bereits zu hundert Prozent in jenem befand.

(Ende)

Illustrationen: Quay Bell, Michèle und Brulama

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Dienstag, 27. März 2018
Abteilung Wort
11. Januar 2010
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Foto: © Raimond Spekking / CC-BY-SA-3.0 (via Wikimedia Commons)

Als wir das Gebäude zusammen mit Georg Bossert betraten, der uns schon vor der Tür vom Funkhaus am Wallrafplatz erwartete, beeindruckte mich als erstes der Paternoster-Aufzug. Wir waren alle ein bisschen aufgeregt, weil wir für die Teilnahme an einer Kinderfunk-Sendung ausgewählt waren und nicht wussten, was uns hier beim WDR erwartete.

Es war nicht nur Georg Bossert, der Entdecker von Desirée Nosbusch und Anke Engelke, sondern auch noch eine nette Dame, deren Namen ich leider vergessen habe, die dann mit uns ihre Spässe trieben.

Wir machten eine echt lustige Sendung. Ich hatte sogar ein Solo, das heisst, ich durfte einen längeren Satz allein aufsagen. Danach gab es dann Eis für uns alle in der Kantine und anschliessend bin ich noch heimlich und allein mit dem Paternoster gefahren.

Später, als Student in Köln, hatte ich richtige Jobs beim Westdeutschen Rundfunk. Einmal war ich Kabelträger, was dann später Kabelhilfe hiess, in Bonn. Ich stand neben einer Kamera im Wahlstudio, wo der Rudolf Rohlinger eine Tasse Kaffee auf dem Schreibtisch stehen hatte, und immer, wenn er gerade nicht auf Sendung war, weiter nach unten zu seinem Bierglas griff.

Die Kamera hat sich während der ganzen Sendung nicht ein einziges Mal bewegt. Ich musste das Kabel nur vorsichtshalber in der Hand halten. Entweder, damit ich es dem Kameramann nachtragen konnte, falls er sein Gerät aus irgendeinem dramaturgisch relevanten Grund doch einmal ein paar Zentimeter verschoben hätte, oder damit ich mich dran festhalten konnte, um nicht im Stehen einzuschlafen, oder einfach, damit es nicht runterfällt.

Dann war ich auch mal in der Abteilung "Der 7. Sinn" tätig. Keine Ahnung, was ich da gemacht habe, aber sehr wichtig kann es nicht gewesen sein. Ich wäre ja gerne mal mit einer der Schrottkisten, die immer ein Nummernschild mit K-WR hatten, so ein bisschen auf glatter Fahrbahn rumgeschlittert, damit der Hoegen aus dem Off mit seiner markanten Stimme hätte sagen können: "Machen Sie nie eine Vollbremsung auf eisglatter Strasse." Damals gab's ja noch kein ABS und man musste den Leuten überhaupt alles erklären.

Im Vierscheibenhaus (VSH), ja, so hiess das. Wahrscheinlich heisst es noch heute so. Glaube kaum, dass die eine fünfte Scheibe angebaut haben. Da war auch gleich die Kantine daneben, die hätten sie dann ja abreissen müssen. Und welche Sendeanstalt reisst schon ihre eigene Kantine ab? Die wären ja schön blöd. Also in der Kantine gab's dann immer ganz gutes und billiges Essen, das weiss ich noch. Was für eine wichtige Tätigkeit ich dort hatte, weiss ich allerdings nicht mehr. Oder doch, ich hatte Blick auf den Appellhofplatz, war also in der ersten oder vierten Scheibe, je nachdem, wo sie mit dem Zählen angefangen haben, und da war so ein Geschäft, wo ich meinem Vorgesetzten im Kopierraum, genau, ich arbeitete im Kopierraum, also wo ich ihm so gegen vier, eine Stunde vor Feierabend, zwei Flaschen Bier holen musste.

Am meisten beeindruckt hat mich ein Schild, das ich in einem anderen WDR-Gebäude sah, in das ich mal geschickt wurde, um irgendwas zu holen oder zu bringen. Auf diesem stand: "Abteilung Wort". Also das hat mich fast umgehauen. Dass die eine ganze Abteilung für ein Wort hatten. Leider musste ich in eine andere Abteilung.

So habe ich nie erfahren, um welches Wort es sich handelte.

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Sonntag, 25. März 2018
Im Kloster
05. Juni 2007
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"Ich möchte gerne mal mit einem Priester sprechen", sagte der Mann, dem seine innere Not ins Gesicht geschrieben stand, zwischen Tür und Angel, den Gastpater nach der ersten Abendhore, den Psalmengesängen zur Vesperzeit, abfangend. Es war der Abend vor dem Dreifaltigkeitssonntag.

Der Ratsuchende hatte offensichtlich keinen Termin, musste unter den sechs oder acht Besuchern im Kirchenschiff gesessen haben. Wir verliessen die Kirche durch den Seiteneingang, der zum Clausur-Flügel des Klosters führte, in dem sich mein Zimmer befand.

Ich trat einige Schritte zur Seite und hörte den Pater sagen, er habe gerade einen neuen Gast. Das war ich. Ob er, der offensichtlich in seelischen Nöten Befindliche, noch einen Moment Geduld habe. Dann kam Pater Anselm wieder auf mich zu. Ob er mich nachher treffen könne, um mich einzuweisen. "Ich habe Zeit", sagte ich ihm, "ich werde in meinem Zimmer auf Sie warten oder auf dem Balkon am Ende des Ganges, auf dem man rauchen darf."

Ich hätte gerne gewusst, warum der arme Mann unbedingt einen Priester sprechen wollte. Vielleicht hatte er was verbrochen oder Ärger mit seiner Frau. Den Gastpater muss er sich während der Andacht ausgeguckt und dann beschlossen haben, diesen und keinen anderen anzusprechen, weder den Abt noch irgendeinen der jüngeren Mönche.

Mein Zimmer war Nummer 2. Die 1 hatte Matthias, ein junger Bankmann aus Frankfurt. Wir waren die einzigen Gäste. Er war schon ein paar Tage hier und erklärte mir solche Dinge wie zum Beispiel, dass man beim Essen erst Nachschlag nimmt, wenn der Gastpater es anbietet.

Das wenige, das ich esse, esse ich normalerweise langsam. Hier musste ich mich ganz schön beeilen. Nach bestimmter Zeit wurde abgeräumt. Pech, wenn man noch nicht satt war.

Sonntag dann morgens um 6.00 wieder Psalmengesang aus dem Stundenbuch, 11.00 Messe, 12.00 Mittagessen, nachmittags frei. Ich sah mich um.

Abends kamen drei weitere Gäste, alles Männer. Klar, dachte ich, sind ja überhaupt nur Männer hier. Ich wurde leicht depressiv, war jetzt seit vierundzwanzig Stunden im Klosterleben.

Die abendlichen Horen und Laudes, Stundengebete und Lobpreisungen, waren mir wie eine Wiederholung vom Vorabend. Alles auf Lateinisch. Ganze Absätze kannte ich von früher, konnte sie fast noch auswendig.

Nicht auszudenken, wenn ich das hier länger aushalten müsste, dachte ich. Der Montag würde schon auch noch irgendwie rum gehen. Aber alles nette Leute. Nur ich bin eben etwas anders. Ich wollte ja eigentlich meinen Erotikthriller zu Ende schreiben. Irgendwie ist so ein Kloster wohl doch nicht die richtige Umgebung dafür.

Doch. Montag war dann der erste normale Tag. Von 6.00 bis 9.00 nacheinander Morgengebet in der Kapelle, Messe in der Kirche und Frühstück zu sechst, wir fünf Gäste mit unserem Gastpater. Die anderen Mahlzeiten nahmen wir zusammen mit den Mönchen ein, schweigend, wobei einer vorlas.

Von 9.00 bis 12.00 konnte ich dann tatsächlich an meinem Roman arbeiten und Zigarettenpausen in der Sonne auf dem Stuhl draussen unter meinem Fenster machen. Nachmittags hatte ich wieder vier und abends nochmal zwei Stunden Zeit, in Ruhe am Laptop zu arbeiten. Herrlich. Da fahre ich wieder hin. Nicht für drei, sondern für vier Tage.

Meinen Roman "Aleksandra oder Entscheidung in Orange" habe ich komplett überarbeitet und werde ihn jetzt einer Lektorin schicken. Nach Verkündung ihres Urteils gehe ich dann am besten gleich wieder ins Kloster, um für meine literarische Sünde zu büssen und den Frieden meiner Seele wieder zu finden.

"Denn Zukunft hat der Mann des Friedens." (Psalm 37)

Webseite Kloster Ettal

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